CZ: Besetztes Atomkraftwerk Zaparozska? Es ist eine sehr gefährliche Situation. Aber keine Reaktion, ärgert sich der Chef der ukrainischen Atominspektion
25.04.22, Quelle: Denik N
Die Ukraine will der Tschechischen Republik helfen, von der Atomabhängigkeit von Russland abhängig zu werden. Im exklusiven Gespräch mit Denik N sagte es der Chef der Staatsinspektion der Atomsicherheit Oleh Korikov. Er erklärt auch, wie und warum das internationale System der Atomsicherheit auf das Bombardieren der Atomkraftwerke nicht vorbereitet ist.
Es war am 24.Februar 2022, als die russischen Truppen das Gebiet der Sperrzone des Atomkraftwerkes Tschernobyl betreten haben. Neben dem explodierten vierten Reaktoren haben die Russen den Kommando-Stütztpunkt erstellt. Fast drei Wochen später haben die Russen auch das größte Atomkraftwerk in Europa unter Kontrolle genommen - das ukrainischem Atomkraftwerk Zaporozska. Jetzt sind diese sechs Reaktoren im Südosten des Landes unter der russischen Kontrolle.
-Frage: Als Sie am 24.Februar aufgeweckt aben, an dem Tag, als Russland Ukraine attackiert hat, was haben sie gedacht?
-Korikov: Ich habe aufgeweckt und Explosionen gehört...
-Frage: Hatten Sie Angst?
-Korikov: Ich haben bereits einen gewissen Alter und eine gewisse Berufsebene erreicht, so dass ich das Wort »Angst« nicht verwenden würde - das ist für mich nicht akzeptabel. Außerdem mein Sohn ist auch in der Armee.
-Frage: Wie hat sich nach dem 24.2. Ihre Arbeit des Hauptinspektoren der Ukraine für die Atomregulation verändert?
-Korikov: Es kam selbstverständlich zu großen Veränderungen. Zuerst mussten wir präzisieren und feststellen, welche Normen des internationalen Rechts verletzt wurden. Ich meine das Übereinkommen über die Atomsicherheit und das Übereinkommen über die Sicherheit beim Umgang mit dem abgebrannten Kernbrennstoff und mit radioaktiven Abfällen. Wichtig ist auch das Übereinkommen über die operative Havarieinformierung und weitere Übereinkommen. Die russische Aggression verursachte, dass die grundsätzlichen Sicherheitsprinzipien nicht eingehalten werden.
Es ist wichtig, dass davon die Internationale Agentur für Atomenergie (IAEA) weiß, sowie der Verein der Regulationsorgane Westeuropas (WENRA), die Gruppe der Aufsichtsorgane für die Atomsicherheit (ENSREG) und weitere Institute.
-Frage: Sind Sie mit allen im Kontakt?
-Korikov: Selbstverständlich - über jede Begebenheit, zu der es bei uns kam, wurden die ausländischen Kollegen umgehend informiert. Wir arbeiten mittels Interface. Gleichzeitig haben wie ein Krisenzentrum aktiviert.
-Frage: Das Krisenzentrum gab es schon vor dem Krieg?
-Korikov: Ich würde es genauer sagen: wir hatten immer ein funktionierendes System und ab und zu fanden Übungen statt.
-Frage: Wann haben Sie gespürt, dass es aus Sicht der Atomsicherheit zu einem wirklich kritischen Augenblick gekommen ist?
-Korikov: Aus meiner Sicht war es am kritischsten, als die russische Armee zum Atomkraftwerk Zaparozska gekommen ist. Diese Information haben wir am 3. März bekommen. Wir fingen gleich an, mit IAEA zu kommunizieren. Wir haben einen offiziellen Brief geschickt, wir haben an verschiedenen Ebenen kommuniziert, aber es kam keine Reaktion zurück. Gleich als sie zum Kraftwerk gekommen sind, fing das Beschießen an. Ich habe direkt mit den Kollegen von IAEA telefoniert. Und wieder nichts. Keine Reaktion. In der Folge haben wir hier ein besetztes Atomkraftwerk. Dabei haben wir den ganzen Prozess online gesehen. Und niemand hat etwas gemacht. Niemand hat einen Druck entwickelt, es kam zu keinem Einsatz, der die Situation beeinflussen würde. Niemand hat etwas gemacht, was das verhindern würde.
-Frage: Wer steuert jetzt das Atomkraftwerk, wer verwaltet die Atomanlage? Und wie leben die Menschen, die dort arbeiten?
-Korikov: In der Folge der Okkupation des Atomkraftwerkes kam es zu einer humanitären Katastrophe in der Stadt Enerhodar.
-Frage: In der Stadt, wo unter der russischen Okkupation die Angestellten des Atomkraftwerkes Zaporozska leben...
-Korikov: Ja. Es ist ein Satellit des Atomkraftwerkes. Es wohnen dort 50.000 Menschen, von 11.000 arbeiten direkt im Atomkraftwerk. Der Rest sind ihre Familien und das Personal, das die Infrastruktur der Stadt hält.
-Frage: Was für eine Situation ist jetzt dort?
-Korikov: Es gibt Mangel an Lebensmitteln, es gibt keine medizinische Mittel. Die Lebensmittel können wir dorthin nicht bringen, es gelingt uns aber auch nicht, dorthin die notwendige technische Ausrüstung für den Gang des Atomkraftwerkes zu bringen. Was wir in den Lagern hatten, das haben wir bereits verwendet. Und momentan können wir nicht einmal den IAEA - Inspektoren die Sicherheit gewährleisten, die die Beglaubigung des Atommaterials durchführen sollen. Sie können nicht einmal physisch dorthin kommen.
-Frage: Ihre Unterordneten haben einen Zugang ins Atomkraftwerk?
-Korikov: Unsere Inspektoren haben keinen Zugang ins Atomkraftwerk. Es sind offizielle Vertreter des Staats Ukraine, sie müssten durch den Kontroll-Stützpunkt der russischen nationalen Garda durchgehen und ganz gewiss würde man sie als Kriegsgefangene nehmen. Und wissen wir, was weiter mit ihnen wäre?
Es ist nämlich eine ganz gefährliche Situation. Der Druck auf das Personal ist groß. Das Personal hat jeden Tag eine große Verantwortung. Falls etwas passiert, unser Zugang stützt sich darauf, dass die Verantwortung die Seite trägt, die das Kraftwerk momentan betreibt. Derjenige, der das Kraftwerk de facto in den Händen hat. Und wer das jetzt ist, ist Ihnen klar. Diese Situation hat mit der Strahlungssicherheit nichts Gemeinsames.
-Frage: Wollen Sie damit andeuten, dass es die Gefahr gibt, dass das menschliche Faktor versagt?
-Korikov: Selbstverständlich. Unter diesen Bedingungen selbstverständlich.
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